Nun sag’ wie hältst du’s mit der Evolution?
Du bist ein vielerfahr’ner Mann,
mir scheint, du hältst sehr viel davon.
I: Die Goethesche Gretchenfrage einmal etwas anders. Wie halten Sie es mit der Evolution? Mit der Entwicklung und Entwicklungsgeschichte der Lebewelt?
E: Ich halte sie für die einzige plausible und viable Hypothese zur Erklärung der Entstehung lebender Organismen und der Entwicklung der Vielfalt von Organismen, die wir in der Gegenwart vorfinden und die wir nach allen uns vorliegenden Zeugnissen auch in der jüngeren Vergangenheit – damit meine ich letzten paar Milliarden Jahre der Erdgeschichte – mit guten Gründen vermuten können.
Was die derzeit noch dominierenden, aber in einem problematischen Rückzugsgefecht stehenden darwinistischen Erklärungsmuster betrifft, bis ich allerdings skeptisch.
I: Sie haben sich vor vielen Jahren der Frankfurter Schule angeschlossen. Warum eigentlich? Es gab doch auch in Wien viele Leute in hohen akademischen Positionen, die sich mit der Stammesgeschichte und mit verschiedenen Evolutionsproblemen und -theorien beschäftigten.
E: Ich habe frühzeitig gemerkt, daß da einiges im Argen liegt. Nicht nur in Wien, sondern generell. Die dominierende neodarwinistische Ideologie – ich will den Neodarwinismus bewußt als Ideologie bezeichnen – dominierte vor zwanzig, dreißig Jahren absolut. Es schien, als böte sie die einzig mögliche Erklärung für den stammesgeschichtlichen Wandel. Doch blieb da immer ein Rest für mich, der anderer Erklärungen harrte. Einer, der das auch erkannt hatte – allerdings damals auf weit höherem Nivau –, war Rupert Riedl. Durch ungünstige soziale Konstellationen geriet ich allerdings für lange Zeit in ein eher feindliches Verhälnis zu ihm. Wir konnten dies aber schließlich auch bereinigen, ohne Positionen aufzugeben. Wir duzten einander schließlich.
Jeder sollte auf seine Weise recht behalten.
Es ist ja ein lustiger Zufall, daß sich ausgerechnet in Altenberg, in der Lorenzvilla, ein Arbeitskreis, „Altenberg-16″ konstituierte, der es unternehmen will, Darwins Erbe „umzubauen“ und „Säulen einer Erweiterten Synthese in der Evolutionsbiologie“ zu erarbeiten. Axel Lange stellte die Zielsetzungen und Vorstellungen in einem Buch vor. Von Darwins Erbe kann ich sehr wenig entdecken. Da wird Neues angestrebt. Und das ist wohl auch gut so. Immerhin gehört auch Eva Jablonka, die die Epigenetik so richtig auf den Weg brachte, zu diesem illustren Kreis. Mich freut das. Zeigt es doch, daß es überall in der Evolutionsbiologie gewalzig zu rumoren begonnen hat und wohl bald so manche Dämme der Ignoranz brechen werden.
Ich wandte mich der Frankfurter Schule zu. Auslöser war der zufällige Fund einer Publikation von Wolfgang Friedrich Gutmann und zwei Mitstreitern über die Evolution der Anneliden, der Ringelwürmer. Sie spiegelte einen Geist wieder, der mich sofort in seinen Bann zog und es mir sehr bald ermöglichte, eigene Vorstellungen, mit denen ich bislang hinter dem Berg gehalten hatte, zu formulieren und auch zu publizieren. Nicht gerade zur Freude mancher, die ich bisher als meine Lehrer betrachtet hatte. Aber das ist halt der Lauf der Welt.
I: Was hat Sie an den bisherigen Erklärungsmustern gestört?
E: Ich will zur Erklärung zwei Zitate bringen, auf die ich mich schon in mehreren Puplikationen berufen habe, weil sie die Schwächen des Traditionsdarwinismus zwar nicht vollständig aber doch im Wesentlichen aufzeigen:
„Die Selektionslehre ist eine Extrapolation, deren Kühnheit durch die massive Handgreiflichkeit der Grundvorstellung getragen wird; bei einer weniger anschaulichen Theorie würde man zweifellos Bedenken tragen, ein experimentell nur beschränkt kontrolliertes Prinzip kosmisch und weltweit auszudehnen. Das Für und Wider der Selektionslehre ist unzählige Male erörtert worden, ja die Auseinandersetzung mit mehr oder weniger beachtenswerten „ Einwänden „ macht einen Hauptteil jeder Darstellung der Selektionstheorie aus – ein Vorgehen, das man im Lehrsystem eines Gebietes etwa der Physik oder Physiologie, vergeblich suchen würde. Es ist eine methodisch uneingeschränkt richtige Maxime, im Sinne des Aktualitätsprinzips mit den bekannten und experimentell nachgewiesenen Faktoren zu rechnen, ihren Anwendungsbereich möglichst auszudehnen und, im Sinne von OCCAMS Rasiermesser, erfahrungsmässig unbekannte und unbewiesene Faktoren auszuschliessen. Andrerseits betreiben wir experimentelle Genetik seit nicht ganz fünfzig Jahren an einigen Dutzenden von Objekten, deren Mutationen die Artgrenzen nicht überschritten; der Schluss, es sei in den etwa zwei Milliarden Jahren der Entwicklung „von der Amöbe bis zum Menschen“ auch nichts anderes vorgefallen, ist kühn. So handelt es sich bei diesen Auseinandersetzungen nicht um erfahrungsmässige Entscheidungen, sondern um Denkmöglichkeiten.“ (v. Bertalanffy 1949, S. 87/88 )
Mit diesem Zitat charakterisiert der Biologe und Systemtheoretiker Ludwig v.Bertalanffy (einer der Lehrer und geistigen Impulsgeber Rupert Riedls, eine Situation der Evolutionistik, die bis heute ungebrochen andauert und von den meisten Evolutionstheoretikern nicht einmal bemerkt wird.
In den letzten Jahren stand allerdings das Herzstück des Darwinismus, die Selektions- und Anpassungstheorie zunehmend im Zentrum grundsätzlicher Debatten, weshalb hier versucht werden soll, verschiedene Standpunke gegeneinander abzuwägen und die Frage, ob in der Evolution der Organismen überhaupt von Adaptation gesprochen werden sollte, einer Lösung näher zu bringen.
Gerade die adaptationistische Begründung des stammesgeschichtlichen Wandels überdauerte all die sonstigen zahlreichen Veränderungen des Darwinismus und Neodarwinismus und wurde durch vehemente Verteidigung sowie weithin unkritische Übernahme in den Status eines unumstößlichen Dogmas erhoben. Dies zu einem großen Teil deswegen, weil unser „Wissen“ v. a. von sozialen Faktoren abhängt. Die daraus resultierende Quasi-Selbstevidenz der evolutiven Anpassung vertrat am radikalsten Ernst Mayr, Doyen des Neodarwinismus und sicher prominentester Evolutionstheoretiker des 20. Jahrhunderts.
Das zweite Zitat stammt von Julius Schaxel und stammt aus dem Jahr 1922:
„Auf Einzelheiten ist der Blick gelenkt: auf einzelne Eigenschaften, die auf ihren Selektionswert angesehen, auf einzelne Individuen, deren Apassungscharaktere erwogen werden. In Einzelereignisse ist die organische Welt aufgelöst wie die anorganische…..“.
Diese Sätze, mit denen die darwinistische Biologie kennzeichnete, scheinen heute, nachdem sich das Faktenwissen in dieser Disziplin vervielfacht hat, dennoch aktueller denn je. Sie beschreiben eine Arbeitseinstellung und -haltung, die nach wie vor in weiten Kreisen als die einzig wissenschaftliche und akzeptable gilt und im reduktionistischen Denken ihren Höhepunkt erreichte.
Organismisches Denken tritt schon deshalb in den Hintergrund, weil in weiten Kreisen kein konsistentes Bild des Organismus vorhanden ist, das allein zu solcher. Sicht befähigt, weshalb als eigenständige Entitäten aufgefaßte Teil- oder Subsysteme isoliert für sich abgehandelt werden.
Und genau in diese Lücke waren Gutmann und seine Schule, zu der, um einige zu nennen, Stefan Peters, Manfred Grasshoff, Michael Türkay und Dieter Mollenhauer zählten, gestoßen. Natürlich angefeindet und oftmals boykottiert vom Establishment, wie es in neudeutschem Quacksprech heißt.
Es würde jetzt zu weit führen, die Prinzipien der Frankfurter Schule und damit der Organismischen Konstruktionslehre bis in die Einzelheiten zu wiederholen. Wichtig war und ist, daß im Laufe der Diskussionen das Anpassungsprinzip des Darwinismus als überholt entlarvt wurde. In einem denkwürdigen Vortrag in der „Lochmühle“, einer Außenstelle des Senckenberginstituts, gelegen im idyllischen Spessart, verkündete Wolfgang Gutmann das Ende dieser althergebrachten, nichtsdestoweniger überholten Vorstellung, die sich vor allem auf Züchteranalogien stützte.
Die waren natürlich irgendwie unmittelbar evident und eingängig. Das Problem der Pflanzen- und Tierzucht, nämlich meist unweigerlich folgende genetische Berarmung und damit Degeneration, wurde dabei unter den Tisch gekehrt. Dabei hätte ein Blick auf die jämmerlichen Kreaturen, welche die Bemühungen eifriger Züchter hervorbrachten, oder auf den von genetischer Degeneration geplagten europäischen Hochadel genügt, um dieses theoretische Fundament sofort zu untergraben, Ich verweise nur auf Hans Bankls interessantes Buch über die „kranken Habsburger“, ein Musterbeispiel einer degenerierten Familie und Dynastie.
Die Sache wurde mit zwiespältigen Gefühlen aufgenommen. Als dann unser Büchlein „Evolution ohne Anpassung“ erschien, war die Reaktion, soferne man uns nicht gezielt ignorierte, wie zu erwarten, negativ. Nur: griffige Einwände vermisse ich bis heute.
I: Also scheint die neodarwinistische „Synthetische Theorie der Evolution“ im Abwind zu sein.
E: Sicher. Denn Inzwischen knirscht es ja gewaltig im morsch gewordenen Gebälk des Neodrwinismus. Auch in Altenberg sieht man sich inzwischen bemüßigt, neue Formulierungsversuche für Darwins Lehre zu unternehmen. Schon von der Formulierung her sehe ich da aber Probleme.
Leider lockten die theoretischen Probleme des Traditionsdarwinismus auch Kritiker auf den Plan, die man sich als Mitstreiter nicht wünscht. Ich meine die ID-Leute, also die Vertreter von Intelligent Design und andere Obskuranten
I: Die Senckenberger Gruppe veröffentlichte ja sehr viele stammesgeschichtliche Rekonstruktionen, auch von Ihnen gibt es einige.
E: Die, natürlich nicht nur meine, wurden inzwischen glänzend bestätigt. Wenigstens in den gröberen Zügen. Über Details kann man sicher immer diskutieren. Auch streiten, wenn es nötig sein sollte. Aber gerade eine Gruppe, die sich „New Animal Phylogeny“ nennt und mit genetischen Analysen arbeitet, stimmt in ihren Stammbäumen mit den Senckenbergischen stammesgeschichtlichen rekonstruktionen weitgehend überein.
I: Also ein Durchbruch.
E: Ja und nein. Es ist schon schön, sich bestätigt zu sehen, vor allem von einer Gruppe, welche völlig andere Methoden anwendet. Doch gibt es Rückzugsgefechte, die teilweise sogar darin bestehen, daß unsere Aussagen einfach vereinnahmt werden. Aber macht nichts! Im Vordergrund stehen der Erkenntnisgewinn und der wissenschaftliche Fortschritt.
Wobei ich ausdrücklich betone: auch wir haben immer Hypothesen erstellt. Hypothesen, die solange gelten sollen, als sie nicht widerlegt werden. Im Sinne Poppers können wir aber die Bedingungen angeben, die zu ihrer Widerlegung erfüllt sein müßten. Aber wenn: auch gut. Das Bessere ist der Feind de Guten.
I: Was aber ist das Besondere an der jetzigen Situation?
E: Das klassisch-genetisch ausgerichtete Weltbild der Biologie bröckelt gewaltig. Die Epigenetik ist im Kommen. Doch bin ich nicht der Meinung, daß wir jetzt mit fliegenden Fahnen zu einem radikalen neuen Lamarckismus – ich muß aber betonen, daß man Lamarck nicht auf seine Sicht der Vererbung reduzieren kann – übergehen können. Die teilweise oder womöglich völlige Rehabilitierung Paul Kammerers steht zwar an, doch interessieren mich vor allem die Ansätze von Baldwin und Schmalhausen. Das heißt, es kommt unter bestimmten Lebensbedingungen sicher nicht nur zu individuellen Reaktionen, sondern auch zu auf spätere Generationen eitergegebenen Modifikationen der Erbsubstanz. Vor allem in Form von chemisch bewirkten Genhemmungen. Daß diese im Laufe von Generationen durch stabilisierende (!) Selektion im Sinne Schmalhausens fixiert werden können, ist plausibel.
I: Also hin zu einer neuen Evolutionsbiologie?
E: Wenn Sie so wollen: ja! Aber sie ist eigentlich schon vorgegeben. Ich habe nach Wolfgang Gutmanns Tod unsere schon vorbereiteten beiden Bücher veröffentlicht. In ihnen ist nicht nur die Autonomie und Spontaneität der Organismen schlüssig begründet, sondern es sind auch die ökologischen Aspekte der Evolution berücksichtigt. Und dann darf man nicht vergessen, daß die Entwicklung vor allem in Deutschland, in Frankfurt, weitergeht. Vor allem Michael Gudo ist da sehr tüchtig und rührig.
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